Diktatur, Demokratie und das Wohl der Gesellschaft

Der Traum von der Diktatur

Der Traum von der Diktatur

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Mross, Karina
Die aktuelle Kolumne (2024)

Bonn: German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Die aktuelle Kolumne vom 24.04.2024

Bonn, 24. April 2024. „Unter bestimmten Umständen ist eine Diktatur die bessere Staatsform“. Lediglich 6 von 10 Wahlberechtigten in Deutschland lehnen diese Aussage grundsätzlich ab. Über 20% stimmen dem zumindest zum Teil zu, wie eine repräsentative Umfrage zeigt. Die Annahme ist häufig, dass wir nur einen guten, einen wohlwollenden Diktator bräuchten. Dieser könnte dann endlich richtig durchgreifen, für Ordnung sorgen und vernünftige Politik viel effizienter und mit einer langfristigeren Perspektive umsetzen.

Nehmen wir einmal an, es gäbe diesen genuin wohlwollenden Diktator, der nicht an seine eigene Macht denkt, sondern primär die Interessen der Bevölkerung im Blick hat. Was wäre die Konsequenz? Er – oder sie – würde nach bestem Wissen und Gewissen, und vielleicht unterstützt durch einen fähigen Beraterkreis, Politik machen. Die Entscheidungen würden schnell und effizient, ohne Widerstand, umgesetzt. Es stellt sich jedoch die Frage: Politik für wessen Wohl? Jede Person, die mehr oder weniger mit einem wohlwollenden Diktator liebäugelt, träumt sicherlich davon, dass endlich die ‚richtige‘ Politik effizient umgesetzt wird. Dass endlich jemand mit der Macht eines Diktators tatkräftig gegen den Klimawandel vorgeht! Dass endlich jemand die Grenzen schließt und Migration verhindert! Dass endlich jemand die Staatsausgaben zurückfährt! Dass endlich jemand die Investitionen in Bildung und andere öffentliche Güter erhöht! So ist die Präferenz der einen das Alptraumszenario der anderen.

Die Gesellschaft ist divers, so wie ihre Interessen und Präferenzen. Es ist unmöglich, allen gerecht zu werden – wie wir immer wieder in den zähen Aushandlungsprozessen in und zwischen unseren politischen Parteien sehen, und den schweren Kompromissen, die am Ende für alle Seiten unbefriedigend wirken. Demokratische Politik ist Streit und oft ein bisschen chaotisch – ein mühsamer Prozess, in dem unterschiedliche Möglichkeiten und Konsequenzen diskutiert, abgewägt und ausgehandelt werden. Am Ende von demokratischer Politik steht idealerweise ein Ergebnis, das die Präferenzen und Interessen aller Gruppen in den Blick nimmt, sie zusammenführt und so ausbalanciert, dass Politik im Sinne der Mehrheit der Gesellschaft gestaltet wird, ohne dass einzelne Gruppen zu stark belastet werden.

Dies gelingt nicht immer – Demokratie kann auch schlechte Politik hervorbringen. Dann gibt es jedoch die Möglichkeit, darauf aufmerksam zu machen, dagegen zu protestieren und letztlich auch die Regierung abzuwählen und einen Politikwechsel herbeizuführen – auf friedlichem Wege. Dies ist bei einer Diktatur nicht möglich. Was wenn ein Diktator zu Beginn vielleicht noch „gute Politik“ gemacht hat, dies aber irgendwann nicht mehr tut? Macht korrumpiert, wie unzählige historische Beispiele zeigen. Was, wenn die ihm direkt Untergebenen ihre Macht ausnutzen, selbst wenn er dies nicht tut? Welche Anreize hat ein Diktator, Politik „für das Volk“ und nicht für sich selbst oder ihm Nahestehende zu machen? Er (oder sie) ist schließlich auch nur ein Mensch. Und in diesem Fall ein Mensch mit absoluter Macht.

Diese Macht stützt sich nicht darauf, durch den Willen des Volkes legitimiert zu sein. Sie beruht darauf, dass niemand seine Macht angreifen und ihm gefährlich werden kann. Potentielle Rivalen, die andere Interessen vertreten oder alternative Politikoptionen aufzeigen, werden ausgeschaltet. Oder sie werden durch Pfründe ruhiggestellt. Dies bedeutet, dass Politik im Interesse einer kleinen Elite gemacht wird, die den Machterhalt sichert. Kritische Stimmen werden unterdrückt, notfalls mit Gewalt und ohne Achtung von Menschenrechten. Dies betrifft insbesondere Minderheiten. Ordnung wird hergestellt, aber zu welchem Preis? Es gibt keine allgemeingültigen Rechte, auf die sich einzelne berufen könnten, und die – im Zweifel auch gegen den Staat oder die Regierung – durchgesetzt werden können. Im Gegensatz zu einem demokratischen System, gibt es keine Mechanismen, den Diktator (oder die Diktatorin) auf friedlichem Wege zu entmachten. So könnte – und würde – der Traum von der wohlwollenden Diktatur sehr schnell zu einem Alptraum werden. Keine Demokratie ist perfekt. Aber sie ist das Beste, das wir haben.

Über die Autorin

Mross, Karina

Politikwissenschaftlerin

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